Kein Thriller.
Obwohl Thriller auf diesem Erstling steht – es ist keiner. Sondern ein gut geschriebener, vielschichtiger Kriminalroman mit einer außergewöhnlichen Ermittlerin, viel finnischem Lokalkolorit und höchst ungewöhnlichen Wendungen.
Anna Feteke ist Ungarin und hat den Jugoslawienkrieg hautnah miterlebt. Mittlerweile lebt sie, gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder, im finnischen Saloinen, hat eine Ausbildung bei der Polizei gemacht – und soll nun, im Sinne der Migrationspolitik, die Kriminalpolizei verstärken. Gleich der erste Fall hat es in sich: die junge Riika wurde auf grauenvolle Art getötet und wenige Tage später findet man einen zweiten Toten, der das gleiche aztekische Amulett in der Tasche hat. Ein Serienmörder? Annas Kollege Esko Niemi, fremdenfeindlich und raubeinig, glaubt nicht daran. Bis eine dritte Leiche ihn eines Besseren belehrt. Doch da ist Anna bereits allein unterwegs. Oder kümmert sie sich „nur" um die Kurdin Bihar, deren Familie ausschließlich Anna gefährlich erscheint?
Kati Hiekkapelto: „Kolibri.",
Heyne Verlag, € 14,99, eBook € 11,99
Unterschiedliche Perspektiven
Angie und Barry, Marina und Dave, Sue und Ed lernen sich im Florida-Urlaub kennen, sie verbringen entspannt viel Zeit miteinander. Lediglich das Verschwinden eines jungen Mädchens am Ende ihre Reise überschattet die schöne Zeit, später stellt sich heraus, dass sie ermordet wurde. Zurück in England treffen sie sich in loser Folge zum Dinner – Termine, die immer stärker aus dem Ruder zu laufen scheinen. Schon die Paare selbst haben genug mit sich zu tun, in großer Runde werden die Gespräche immer mühsamer, das Beisammensein ist angefüllt mit unausgesprochenen Vorwürfen und dunklen Geheimnissen. Und dann stirbt auch in England eine junge Frau …
Wenn sechs Menschen das gleiche erleben, ist es noch lange nicht dasselbe. Mark Billingham gelingt es mit seinem Roman, der ganz bewusst nicht als Thriller klassifiziert ist, uns Lesern diese Wahrheit sehr anschaulich vor Augen zu führen. Jede Person kommt als Erzähler zu Wort, wirklich sympathisch ist niemand –genau das macht den Roman so spannend und unvorhersehbar.
Mark Billingham: „Die Lügen der anderen.",
Atrium Verlag, € 19,99, eBook € 15,99
„Warum sind die Dinosaurier ausgestorben?" - „Buck Schatz"
Wir greifen vor: dieser Witz in Anlehnung an die Chuck-Norris-Witze steht kurz vor dem Ende des Buches. Subtiler Humor oder zarte Umschreibungen sind nicht Daniel Friedmans Sache – seine Mischung aus Krimi, Geschichtsroman und Großvater-Sohn-Geschichte ist ziemlich lustig, ziemlich spannend und ziemlich schonungslos.
Buck Schatz ist 87 und vom Alter gezeichnet. Eines Morgens wird er ans Sterbebett eines alten Kriegskameraden geholt, dort erfährt er, dass dieser seinen Nazipeiniger hat entkommen lassen, Buck solle ihm verzeihen. Was er nicht tut. Eigentlich will er einfach nur seine Ruhe haben. Als er seinem Enkel davon erzählt, will dieser sofort für Gerechtigkeit sorgen. Oder vielleicht auch nur den Goldschatz finden, mit dem der Nazi unterwegs war, jedenfalls befinden sich die beiden bald auf der Suche. Allerdings sucht wohl noch ein anderer nach dem Gold, denn irgendwie sterben diejenigen, die ihnen helfen, eines schnellen Todes …
Daniel Friedman: „Der Alte dem Kugeln nichts anhaben konnten."
Aufbau Verlag, € 17,99, eBook € 13,99
Von geradezu hypnotisierender Wirkung
Lisa ist Mutter von drei Kindern und hat einen anstrengend-erfüllenden Job im Tierheim. Irgendwie hat ihr Tag stets zu wenige Stunden und so kommt es, obwohl sie sich redlich müht, immer mal zu Alltagsdramen – mal hat sie die Pizzazutaten für die Tochter vergessen, mal eine Spende für die Klassentombola des Sohnes. An einem Vormittag in der Vorweihnachtszeit passiert allerdings eine wirkliche Katastrophe: Lucinda, die beste Freundin von Tochter Sally ist unauffindbar und sie hätte schon seit dem vorigen Tag bei Lisa sein sollen! Und erst vor kurzer Zeit wurde ein Mädchen vergewaltigt aufgefunden. Was, wenn Lucinda das Gleiche passiert ist?
Die Überschrift ist übrigens ein Zitat von Tess Gerritsen über Paula Dalys Debütroman.
Daly lässt Lisa in Ich-Form erzählen, dazwischen gibt es Passagen aus Sicht der Ermittlerin
und aus Tätersicht: das alles entwickelt einen beeindruckenden Sog, der aber nie durch
große Gewalttaten entsteht. Eher durch den nervenzerreibenden Umgang Miteinander …
Paula Daly: „Die Schuld einer Mutter.",
Manhattan Verlag, € 19,99, eBook € 15,99
Typisch englisch?
Eigentlich hätte Jonas Holly das Zeug, in der Großstadt Karriere zu machen. Doch seine Frau ist an MS erkrankt und die Schübe häufen sich, so dass er statt Polizeikommissar nun Dorfbobby ist, mit reichlich Zeit zum Umsorgen seiner geliebten Lucy. Das ändert sich, als die gelähmte Margaret Piddy stirbt und ihr Arzt sofort erkennt, dass es sich um Mord handelt. Holly, der seine Aufgabe im Beschützen der Dorfbewohner sieht, stellt Nachforschungen an, obwohl eine Polizeieinheit aus der Großstadt die Ermittlungen führt. Der Mörder wird jedoch nicht gefasst. „Und sowas nennt sich Polizist!" – das ist die erste anonyme Nachricht, die Holly erhält und ihm sein Versagen richtig vor Augen führt. Noch weitere Nachrichten folgen. Und weitere Morde …
„Der Beschützer" ist ein raffinierter, teilweise schonungsloser Thriller aus der englischen Provinz mit einem zartbesaiteten Dorfpolizisten, dem die grausamen Morde arg zusetzen, und mit einem unerwarteten Finale.
Belinda Bauer: „Der Beschützer", Goldmann Verlag, € 8,99, eBook € 7,99
Meistens ist es jemand aus der Familie …
Jeder Krimileser und –Zuschauer weiß es: die Polizei schaut sich im Falle eines Gewaltverbrechens die Familie und den Freundeskreis immer sehr genau an; die meisten Taten sind (wenn man den Geschichten glauben schenken darf) in irgendeiner Form Beziehungstaten. Patrick und Carlo zum Beispiel werden die Gerichte ihrer Ehefrauen zum Verhängnis, allerdings in völlig unterschiedlicher Art und Weise, Roald Dahl und Donna Leon haben nun mal völlig unterschiedliche Ideen. Das blaue Haare und Saxophonspiel zutiefst spießig sein können hat hingegen Doris Dörrie in eine Geschichte verpackt. Allen elf Erzählungen gemeinsam ist der schwarze Humor - es hat schon seinen Grund, warum der Herausgeber Daniel Kampa als Intro Shakespeare zitiert: „Lieber gut gehängt als schlecht verheiratet."
„Bis dass der Tod euch scheidet.", Diogenes Verlag, 14,90 €