Literarische Lieblinge in 2021 -2020 - Buchhandlung und Verlag Bornhofen in Gernsheim am Rhein

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Unsere Literarischen-Lieblinge in 2021:
Ilya Kaminsky: Republik der Taubheit

Vasenka, so heißt die Stadt inmitten des Krieges. In der die Soldaten erwartbar handeln und das doch stets unerwartet ist. In der die Einwohner taub werden aus Selbstschutz und Protest. In der die Taubheit aber doch nicht schützen kann vor tödlichen Übergriffen. In Vasenka leben sie alle, die Standhaften und Kollaborateure, die Liebenden und Fatalisten. In Vasenka wütet der Krieg und auch der Frieden bringt kein Leben ohne Angst.

„Dank“ – unter dieser Überschrift steht normalerweise bei Büchern eine kleine Ergänzung. Hier sind das Seiten, die unbedingt gelesen werden müssen: Weil der Autor Ilya Kaminsky erzählt, wem er welches Gedicht gewidmet hat. Vor allem aber, weil er auflistet, wo ein Teil der Gedichte schon erschienen ist. Auch wenn es den Anschein hat, als wäre der vorliegende Lyrikband, der genauso auch ein Theaterstück sein könnte, im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg entstanden – der Blick in den „Dank“ zeigt, dass es schon Veröffentlichungen in den Jahren 2010 und 2012 gab, also weit vor dem russischen Einmarsch auf der Krim. Kaminskys Texte sind knapp und erschütternd, sie beschreiben Krieg ungeschönt und aus dem Blickwinkel „normaler“ Menschen. Wenn er aber die Geschichte von Sonya und Alfonso erzählt, sind sie manchmal zart und immer getragen von großer Liebe. Das alles macht „Republik der Taubheit“ zu einem sehr großen und lange nachhallenden Buch.

Hanser Verlag, Übersetzung: Anja Kampmann, 978-3-446-27273-6, € 22,00

Zeitlos …

Oh, wär ich  /  der Kästner Erich!
Auch wäre ich gern  /  Christian Morgenstern!
Und hätte ich nur einen Satz  /  vom Ringelnatz!
Doch nichts davon! – Zu aller Not  /  hab ich auch nichts von Busch und Roth!
Drum bleib ich, wenn es mir auch schwer ward  /  der Heinz Erhardt …

Tiefstapeln konnte er, der Heinz Erhardt. Denn seine Gedichte und Erzählungen, seine Übertreibungen und Umschreibungen passen in den Reigen, von Kästner bis Roth, ziemlich gut hinein. Ob er uns erzählt, wie Schillers Glocke entstand oder warum Zeus völlig humorlos ist, ob er sämtliche Verdi-Opern in ein erzählendes Gedicht hineinpackt oder wie Hannibal aus Elefanten Mücken macht – das Lesen ist ein stetes Vergnügen. Und die Illustrationen von Gerhard Glück – gerade nicht direkt zum Thema des Textes gehörend, sondern nur daran angelehnt – sind feine, hintergründige und sehr unterhaltsame Ergänzungen. „Wilhelm Tell und andere Berühmtheiten“ ist ein Buch, mit dem man vielen eine Freude machen kann. Sich selbst auch.

Heinz Erhardt: „Wilhelm Tell und andere Berühmtheiten, mit Bildern von Gerhard Glück“, Lappan Verlag 978-3-8303-6381-1, € 16,00  
Begegnungen

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – bei mir ist jeder Spaziergang auch ein Beobachtungsgang durch die Natur. Manchmal bleibe ich stehen und schaue genau hin, höre gut zu, manchmal gehe ich langsamer, um ein Tier nicht zu vertreiben und auch Umwege zwecks besonderer Schönheiten finden statt. Vielen Autor*innen ist es wohl ebenso ergangen: Es gibt unendlich viele Texte mit Bezug zur Natur, realistische und schönfärbende, Prosa und Poesie, zugeneigte und widerwillige … Florian Huber hat für „Im freien Feld – Begegnungen mit Vögeln“ in den Büchern der letzten beiden Jahrhunderte gestöbert und eine spannende, interessante Vielfalt an Sequenzen über Gefiedertiere zusammengestellt, mal mit nur wenigen Zeilen, mal mit ein paar Seiten. Gemein ist ihnen, dass wir Leser*innen einen Ausschnitt der Natur erhalten, der über den eigentlichen Text hinaus geht. Denn immer ist da auch das Glück mitzulesen, welches die Schreibenden im Beschriebenen finden. Genau das macht die Texte so bezaubernd: Geteiltes Glück ist doppeltes Glück …

Florian Huber: „Im freien Feld – Begegnung mit Vögeln“, Czernin Verlag, € 22,00
Unsere Literarischen-Lieblinge in 2020:
„Shredded Prose“

Eine Kleinstadt in Illinois zur Jahrhundertwende: Rechtsanwälte und Minenarbeiter, ehrbare Ehefrauen und die in wilder Ehe lebende Tänzerin, Töchter, Söhne und Ehemänner, Reiche und Arme, Gläubige und arme Seelen. Sie alle führen ein sichtbares Leben. Edgar Lee Masters aber hat in seinen Grabinschriften, den Epitaphen, ihre unbekannte, versteckte Seite ans Licht gebracht. Wir lesen von wahrhaftigen Menschen, deren Leben miteinander verflochten waren, selten zum Vorteil der Einzelnen. Wir lesen aber auch mehrere Sichten auf denselben Vorgang, wer Täter ist und wer Opfer, das verwischt regelmäßig …

Edgar Lee Masters Gedichtband „Die Toten von Spoon River“ (erschienen erstmals 1914) ist der meistverkaufte Gedichtband des 20. Jahrhundert – obwohl seine freirhythmischen Verse gerade nicht den üblichen Lesegewohnheiten entsprachen und auch weiterhin nicht entsprechen. Kritiker sprachen gar von „geschredderter Prosa“. Doch genau in der von Masters gewählten Form, in einer Art Momentaufnahme, die nur sehr selten über eine Seite hinausgeht, funktionieren die Texte hervorragend. Wir Leser*innen erfahren, zumindest wirkt es so, vor allem das, was die Person ausmachte: Das ist unglaublich dicht und großartig. Dass viele Texte echten Menschen zuzuordnen sind kann man übrigens im Nachwort nachlesen.

Edgar Lee Masters: „Die Toten von Spoon River“, Verlag Jung und Jung, Übersetzung: Claudio Maira, 978-3-990272-43-5, € 40,00


Gemeinsam

Ich war neun oder zehn Jahre, als das erste türkische Mädchen in unsere Klasse kam. Wir sollten „nett sein“, mit ihr reden – aber wir wussten gar nicht, wie das gehen kann. Bis dahin war die Welt eingeteilt in katholisch beziehungsweise evangelisch und in „großer Farbfernseher“ plus halbwegs entspannter Feierabend beziehungsweise kleiner Schwarz-Weißer plus immer zu wenig Geld. Nun gab es also jemanden außerhalb der Kategorien, zumindest in unserer Wahrnehmung. Die Gemeinsamkeiten zu entdecken, das war kaum möglich.

Auch dank Aras Örens „Berliner Trilogie – drei Poeme“ gelingt es mir heute, halbwegs zu verstehen, wie das damals war. Ören lebt seit 1969 in Berlin, war Redakteur beim SFB und Leiter der türkischen Redaktion Multikulti beim RBB – und er hat in der „Berliner Trilogie“ vielen türkischen „Gastarbeitern“ (ich nutze die Anführungszeichen hier sehr bewusst: eigentlich sind es ja einfach Kolleg*innen, oder?) ein Denkmal gesetzt. Mit wenigen Worten skizziert er alte und neue Lebensentwürfe, Alltag in der Türkei und in Deutschland, Sprachlosigkeit und ihre Zwischentöne. Das ist große Kunst. Es ist aber vor allem ein großartiger Beitrag zur Verständigung. Und die haben wir derzeit nicht weniger nötig als in den siebziger Jahren, finde ich.

Aras Sören: „Berliner Trilogie – drei Poeme“, Verbrecher Verlag, Übersetzung: H. Achmed Schmiede, Johannes Schenk, Jürgen Theobaldy und Gisela Kraft, 978-3-95732400-9, € 22,00
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